Neulich fragte mich eine Bekannte, wie ich denn eigentlich auf meine Textideen käme. Fallen dir die Geschichten einfach so ein? Oder musst du lange nachdenken? Sitzt du auch mal vor dem weißen Blatt oder starrst tagelang auf deinen Monitor?
Seit Jahren laufe ich immer die gleiche Strecke …
Die Ideen kommen mir eigentlich immer beim Laufen, sage ich. Ich jogge regelmäßig. Dann laufe ich los und alles in meinem Hirn wird tüchtig durcheinander geschüttelt und neu sortiert. Seit Jahren laufe ich immer die gleiche Strecke. Hirn ausschalten, Beine bewegen. Immer über die Brücke, dann links am Kanal entlang und rein in den Park. Und dabei purzeln fast immer Ideen heraus. Zu Hause muss ich dann schnell an den Schreibtisch und loslegen, denn ich laufe tatsächlich ohne Notizblock oder Smartphone. Damit nicht sofort alles weg ist, setzte ich mich am besten noch mit schwitzigen Laufklamotten an den Schreibtisch. Manchmal laufe ich auch mit einer groben Idee los und komme mit einem Text zurück – Auftragslaufen klappt also auch. Meistens.
Soweit das Gespräch mit der Bekannten.
Kurz darauf trudelt auch schon die Erinnerungsmail in mein Postfach: Der Redaktionsschluss droht, wie es denn mit der nächsten „Supersuse“ aussähe. Schon eine Idee? Was Weihnachtliches wäre prima. Klar, flunkere ich, die Geschichte ist fast fertig. Denn ich weiß, es ist Freitag und spätestens Sonntag erlaufe ich meinen Text. So wie immer. Alles im Lot also.
Loslaufen und Hirn aktivieren
Sonntag laufe ich los und aktiviere mein Hirn mit weihnachtlichen Schlüsselwörtern: Tannenbaum, Weihnachtswichteln, Geschenke, Glitzerkrams, Schnee … und schweife ab: kein Schnee, – Klimakatastrophe, Energiekrise, Blackout. Meine Gedankenzentrale ist unwillig, führt mich auf falsche Fährten. Mir wird warm und wärmer. Es ist November, vor einer Woche war ich auch noch im Süden, bin bei 28 Grad die Berge hoch gekraxelt und habe abends im Sommerkleidchen Tapas gegessen. Wie soll ich jetzt an Weihnachten denken? Erst gestern hat mich der allerbeste Ehemann gefragt, was ich mir wünsche. Nix dachte ich. Oder doch: Frühling. Nicht nur Frühlingstemperaturen, sondern Frühlingsmonat und dann: Urlaub. Heute muss ich wohl länger laufen, damit mir guten Ideen kommen. Textideen, Geschenkideen. Und komme vom Weg ab. Hier war ich noch nie, ich laufe weiter, vorbei am Bürgerpark-Graureiher, der mich verwundert anschaut, immer weiter entlang der Wasserläufe. Es duftet modrig nach feuchter Erde, ich lausche dem raschelnden Laub – kein Weihnachten in Sicht. Meine Sinne lassen sich nicht überreden. Jetzt muss ich mich aber auch auf den Weg konzentrieren. Wo bin ich überhaupt gelandet? Links, rechts, umkehren, weiterlaufen? Wo ist die nächste Brücke?
Durcheinander in der Schaltzentrale
Kennt ihr den Pixar-Film „Alles steht Kopf“? Der zeigt ziemlich gut, was im Hirn so los ist, wenn eine Krise ausbricht. In der Kommandozentrale wird wild geschaltet und immer wieder neu beraten. Im Film geht es um das Gefühlsleben eines kleinen Mädchens … Bei mir ist wohl auch gerade ein bisschen Durcheinander in der Schaltzentrale.
Schließlich finde ich den Weg, komme irgendwann zurück auf meine gewohnte Route. Puh, so lange bin ich noch nie gelaufen. Jetzt aber. Weihnachten. WEIHNACHTEN! Nix. Ist das ein Zeichen? Muss das denn sein? Können wir nicht Weihnachten in diesem Jahr einfach mal ausfallen lassen? Statt Weihnachtsgans ne Pizza in den Ofen schieben? Mit Freunden treffen und Spiele spielen, Cocktails mischen, Musik aufdrehen und tanzen? Und nicht – wie seit Jahren nach Bescherung und Weihnachtsvöllerei – „Tatsächlich Liebe“ gucken. Diejenigen einladen, die Weihnachten allein verbringen? Kleine Geschenke selber machen statt große Geschenke zu kaufen? Den Tannenbaum im Wald lassen? Klimaschutzprojekte unterstützen und das nächste Wanderurlaubsprojekt planen? Joggen gehen und Reiher beobachten? Plötzlich fällt mir ganz viel ein.
Beschwingt laufe ich die nächsten Meter, schnell und schneller. Soll ich das jetzt aufschreiben? Ist das nicht banal? Erst einmal die Familie fragen, vielleicht wird ja ne Story draus. Nö, sagt die Große, der Sohn zieht eine gruselige Grimasse. Der Mann ist noch gar nicht in Planungslaune.
Wir könnten ja mal vorsichtig starten und einen neuen Weihnachtsfilm auswählen. Wie wäre es mit „Alles steht Kopf“? Im nächsten Jahr gibt es dann ganz bestimmt eine echte Weihnachtskolumne. Vielleicht kommt mir ja bereits an einem kühlen Sommertag eine Idee. Beim Laufen natürlich.