Heute ist mein Sporttag.
Zweimal die Woche bietet die weltbeste Yogalehrerin Online-Pilates oder Yoga an, live gestreamt. Yoga im Homeoffice. Ich bin gut gerüstet: Matte, Block und Ball liegen bereit. Direkt nach dem Kaffee springe ich in die Sporthose und logge mich ein. Yoga-Susanne freut sich über den sonnigen Morgen und kündigt eine dynamische Pilates-Session an. Macht euch gern ein wenig Musik an, sagt sie. Okay, das hatten wir noch nicht. Schnell mal auf dem Rechner zu iTunes gewechselt und die erstbeste Playlist ausgewählt. Läuft. Leider ist jetzt Susanne nicht mehr zu hören. Ich lerne: Musik leiser und Susanne lauter geht wohl nicht. Gut, dass kein Kind in der Nähe ist, ich sehe das Augenrollen vor mir.
Susanne hat schon losgelegt, Mist, die erste Übung hab ich wohl verpasst. Aber ohne Musik? Finde ich doof. Ich greife zum Smartphone (iTunes wo bist du??), während ich mich dehne. Mein Thema heute: Multitasking am Morgen. iTunes gefunden, Playlist ausgewählt, leise gestellt. Läuft. Ich höre Time of my life (happy Gitarrenzeugs) – Susanne ist auch noch da – und steige wieder hundert pro ein. Coole Musik, Powerpilates. Der Dielenboden vibriert. Egal, die Kids schlafen eh noch.
Ich höre längst verdrängte Kindersongs
Schweißgebadet hüpfe ich durch mein Homeoffice, ein Nachbar winkt fröhlich. Meint der mich? Sieht der mich? Egal. Ich winke zurück. Jetzt wird es richtig dynamisch, aber was zum Teufel ist das für Musik? Adler will fliegen?? Oh nein, meine Playlist hat sich selbstständig gemacht, ich höre längst verdrängte Kindersongs. SIRI AUS! Aber Siri möchte gedrückt werden. Schweiß tropft auf mein Smartphone, mit Musik ist jetzt mal Schluss.
Bodenübungen in der Stille, ich quäle mich mit Unterarmstützen und betrachte meine Hände. Der Ehering. Gehört der eigentlich auf die rechte Seite? Trägt man den nicht links (am Herzen oder so?), sitzt der die ganze Zeit auf der falschen Seite? Seit wann? Ich bin verwirrt. Homeofficedemenz? Ich plumpse auf den Bauch. Susanne, ich schaffe das nicht. Sie schaut mich an und sagt „Wunderbar!“ Ehrlich, sie sagt das nur zu mir. Ich bin versöhnt und schwitze und schwitze.
Ich atme alles Blöde raus
Jetzt wird es ruhiger, Entspannungsübungen deuten auf das Ende dieser Session hin. Ich liege ganz im Hier und Jetzt und atme alles Blöde raus und alles Schöne ein.
„KINDER, FRÜHSTÜCKEN!“ – der beste aller Ehemänner muss unbedingt jetzt seine Stimme erheben. Der Kinderweckschrei neben meinem Ohr. DIREKT VOR MEINEM HOMEOFFICE! Hilfe, ich will hier raus. Susanne hat jetzt auch die Nase voll und beendet unsere Stunde.
Kurz im Chat: Begeisterte Kommentare, demnächst wollen wir auch mal videochatten. Ich stelle mir vor: Die ganze Yogagruppe schaut in mein Homeoffice … Da denke ich jetzt nicht drüber nach. Unten wartet das Frühstück, verschlafene Kinder hören meinen Pilateserlebnissen zu. Und dann, die Erleichterung: Der Ehering sitzt richtig!
3 Gedanken zu „Schweißgebadet im Homeoffice“
sehr realitätsnah und launig. gut zu lesen, amüsant, aber nicht flach.
Wundervoll! Ich lache Tränen! 🙂 Ja, so ist es im Home Office!
Super geschrieben, sehr realistisch, lustig und nachvollziehbar. Hab‘ mich teilweise selbst auf der Jogamatte liegen und motiviert die Übungen machen sehen, mit all den kleinen „Störungen“….