Zwischen Ostseewellen und Schwimmbadsprungbrettern

supersuse paddelt wild in der ostsee, neben ihr der schwimmreifen

Neulich in der Mittagspause ging es darum, wer wann und wo schwimmen gelernt hat. Meine Kolleginnen erinnerten sich an strenge Schwimmlehrer in der Schule und an Eltern, die im örtlichen Schwimmbad unermütlich am Beckenrand standen und ihre Kinder (meine Kolleginnen) anfeuerten. Diese paddelten schnaufend mit Armen und Beinen und bewegten sich langsam vorwärts. Natürlich mit Schwimmnudeln oder knallorangen Schwimmringen. Irgendwann gingen ihre Erinnerungen an die eigenen Erlebnisse fließend in die ihrer Kinder über. Die natürlich auch mit Schwimmringen durchs Becken schnauften.

Auch ich paddelte wild mit Armen und Beinen – allerdings ging es bei mir mehr ums Überleben als darum, meine Eltern zu begeistern. Die waren nämlich nicht anwesend, als mir eine – vermutlich harmlose – Welle den Boden unter den Füßen wegzog. Wie war das passiert? Wir waren wie jeden Sommer wochenlang an der Ostsee. Länger als andere Kinder, denn mein Vater half jede Saison im Café meines Onkels aus, während meine Mutter im Strandkorb, umrahmt von muschelbestückten Sandburgen, für die passende Urlaubsbräune sorgte. 

Wer will schon an heroischen Kindheitserinnerungen rütteln?

In meiner Erinnerung musste ich nicht gerettet werden. Denn auf einmal blieb ich über Wasser – was für ein Glück. Mehr noch, ich konnte zurückschwimmen. Ganz allein! Ich war die Heldin, die einfach so losschwamm! Und natürlich rannte ich ganz aufgeregt zum Strandkorb, um meine sonnengebräunte Mutter darüber zu informieren, dass ich gerade schwimmen gelernt hatte. Wie sie reagiert hat? Keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, ob es wirklich so war. Vielleicht hat mich auch jemand aus dem Wasser gezogen und musste mich wiederbeleben, um mich zu retten. Diese Version gefällt mir allerdings nicht so gut, und wer will schon an heroischen Kindheitserinnerungen rütteln. Jedenfalls war ich von da an nicht mehr zu bremsen. Jede freie Minute verbrachte ich im Wasser, natürlich ohne Schwimmring oder andere Hilfsmittel. Solange, bis meine Lippen blau anliefen und meine Mutter mich mit dem Handtuch aus dem Wasser zerrte. Was für ein wunderbarer Sommer! 

Hilfe, wo ist der Schwimmreifen?

Während meine Mutter also in ihrem knallroten Badeanzug in Schräglage döste, war ich mit all den Dingen beschäftigt, die man als Fünfjährige an der Ostsee halt so macht: Burgen bauen, Muscheln sammeln, Quallen jagen oder mit dem Schwimmreifen im Wasser herumplantschen. Und während ich so planschte, entfernte ich mich immer weiter vom Strand. Ich erinnere mich noch daran, dass der Schwimmreifen plötzlich wegflutschte und ich keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Und dann kam eben diese Welle … und ich paddelte wild mit Armen und Beinen, ging kurz unter und tauchte nach Luft schnappend wieder auf. Wie meine Kolleginnen im Schwimmbad. Allerdings ohne Schwimmflügel und ohne Eltern und Schwimmlehrer in der Nähe. 

Die Geschichte könnte jetzt zu Ende sein. Oder ich könnte noch von weiteren Meeresabenteuern erzählen: Von wilden Atlantikwellen an der Felsküste von Maine, von windlosen Surfversuchen auf Fehmarn oder Begegnungen mit Seegurken an der kroatischen Adria. Vielleicht ein anderes Mal.

Vom Dreier springen? Niemals!

Denn Monate nach meinen heroischen Schwimmerfolgen landete ich tatsächlich in einem richtigen Schwimmkurs, so wie meine Kolleginnen, als sie klein waren. Schwimmen in der Ostsee reichte eben nicht für ein Schwimmabzeichen. Also fuhren wir mit der ganzen Klasse nach Hamburg-Ottensen ins Bismarck-Bad. Das Wasser war kalt, die Schwimmlehrerin unwirsch und das Schlimmste: Sie zwang uns, vom Dreimeterbrett zu springen. Da war ich keine Heldin mehr, DAS weiß ich noch ganz genau. Ich stand oben, zitternd und ängstlich und ließ mich nicht überreden, in das eisige Chlorwasser zu springen. Weinend kletterte ich die Treppe herunter und stellte mich trotzig unter die warme Dusche. Meinen Freischwimmer bekam ich trotzdem, mit der Auflage, einige Wochen später einen neuen Sprungversuch zu starten. Was ich nie getan habe. 

Und die Moral von der Geschichte? Ich mag Hallenbäder nicht. Trotzdem bin ich jahrelang mit meinen Kindern Schwimmen gegangen und sogar ein einziges Mal vom Dreier gesprungen. Ohne Schwimmlehrerin. Mein Abzeichen habe ich mir also verdient. Halt nur etwas später.

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