Vom Vergessen in nicht so heiteren Zeiten

Seit Monaten schon liegt das Buch „Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten“ von Axel Hacke auf meinem Nachttisch und wartet darauf, gelesen werden. Ich mag Hackes Kolumnen, habe mir bereits vor über 20 Jahren seine Alltagsgeschichten im Bremer Modernes angehört und permanent vor mich hingegiggelt. Aber ein Sachbuch über die Heiterkeit? Ich weiß auch nicht, und stapele es einfach unter die anderen ungelesenen Bücher.

Es braucht jetzt Humor

Aber dann häufen sich die unlustigen Ereignisse. Weltpolitisch, ihr wisst schon. Es braucht jetzt Humor, denke ich und greife zum Hacke. Das Buch beginnt merkwürdig: Der Autor hat doch tatsächlich vergessen, worüber er schreiben sollte und zweifelt an seinem Verstand. Schlaganfall, Spontandemenz …, mit viel Mühe kramt er in seinem Gedächtnis. Und versucht vergeblich sein schwarzes Loch zu füllen. Zum Glück findet er irgendwann seine Notizen und weiß wieder, worüber er berichten darf. 

Ich vergesse nur Namen, aber damit komme ich meistens klar. Bis auf ein paar peinliche Situationen. Zum Beispiel dann, wenn ich mit dem besten Ehemann unterwegs bin und eine Frau treffe, die ich wohl kennen muss. Jedenfalls kennt sie mich, begrüßt mich sogar mit Namen und das Gesicht kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Ich zupfe am Ehemannjackenärmel und will mich aus dem Staub machen. Es könnte sonst peinlich werden. Doch er bleibt freundlich lächelnd stehen. Warum macht er das, er mag doch keinen Smalltalk. Ich beiße die Zähne zusammen und lächle ebenfalls. Nein, sage ich ihm mit einem intensiven Blick, erwarte bitte nicht, dass ich dir unsere Gesprächspartnerin vorstelle. „Hallo“ rufe ich etwas laut und „Schön, dich zu sehen, aber wir müssen uns doch beeilen“, sage es und ramme meinem Liebsten sanft den Ellbogen in die Rippen. Weg sind wir. Puh. Fragend schaut er mich an. Namensdemenz, sage ich. Ach ja, erinnert er sich. Bis wir den nächsten „Bekannte“ treffen und das Spiel von vorne beginnt. Denn auch der Mann vergisst Dinge. Nur eben andere.

Was tun gegen Namensdemenz?

In den meisten Situationen kann ich meine Namensdemenz gut verbergen. In meinen Workshops zum Beispiel bestehe ich immer auf Namenskärtchen oder spreche die Teilnehmenden neutral an. Sage: „Kannst du das bitte wiederholen“ und zeige auf die entsprechende Person. Ist bisher niemandem aufgefallen, denke ich. Es kam zu keiner Peinlichkeit.

Schwierig wurde es Anfang des Jahres, als ich selbst an einer einwöchigen Fortbildung teilnahm. Es begann – wie bei allen Kursen – mit einer Kennenlernübung. Und diese hier, erklärte die gut gelaunte Kursleiterin, wird euch richtig Spaß machen, so lernen wir auch gleich alle Namen. Mir wurde schwindelig. Wir sollen uns mit kurzen Sätzen vorstellen à la „Ich bin die Birgit und stricke gerne“, „ich heiße Gert und wandere im Sommer in den Alpen“ und so weiter. 12 Leute, 12 Sätze. Das war die erste Runde, ging noch. Ich merkte mir Anja, die angelt gern. Alle anderen Namen vergaß ich sofort und dachte noch, so, und wann kommt jetzt der Tagesplan? Aber das war noch lange nicht. alles. In der nächsten Runde sollten alle die Namen plus Tätigkeiten wiederholen. Ich bekam einen Schweißausbruch. und war kurz davor, meinen eigenen Namen zu vergessen. Die Kursleiterin fragte noch fröhlicher: Gibt es jemanden, der sich Namen schlecht merken kann? Vier Leute meldeten sich. Puh, ich war nicht allein. Dann kam die zweite Runde und ich schaute fragend zu meiner Nachbarin. Anja? Nein, die saß ja gegenüber. Äh. Man half mir auf die Sprünge. Und so hangelte ich mich schweißgebadet durch die erste Runde.  Über die zweite und dritte Runde möchte ich lieber nicht sprechen. Am Ende war klar: Ich verlasse diesen Kurs und komme nie wieder. 

Gut vorbereitet in die nächste Runde

Hab ich dann doch nicht getan und stattdessen zu Hause Namen geübt. Für den Fall, dass die Übung am nächsten Tag wiederholt wird. Ist ein bisschen wie Vokabeln lernen. Am zweiten Tag war ich gut vorbereitet und begrüßte Axel fröhlich mit seinem Namen. Der schaute mich komisch an. Vielleicht war es doch Olaf. Die Kursleiterin fand, dass wir jetzt mal Namenskärtchen aufstellen sollten, da sich doch einige die Namen schlecht merken könnten. Lächelte mich an und ging zur Tagesordnung über. So, jetzt will ich nicht mehr an diesen Kurs denken. 

Aber worüber wollte ich eigentlich schreiben? Darüber muss ich noch kurz nachdenken. Vielleicht habt ihr bis dahin den neuen Hacke gelesen, es lohnt sich.

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